Freitag, 16. Januar 2015

Das Gehäuse als Widerstand der Natur gegen ihre totale Technisierung.
Das Verschwinden des Technischen als Fluchtpunkt der Technik

Es gibt Autoren, die in Anlehnung an die Idee der Aufklärung von einer Geschichte der immer weiter fortschreitenden "Explikation" sprechen (Sloterdijk). Die Geschichte sei also mitunter aufzufassen als eine schrittweise Explikation alles zunächst und zumeist Impliziten, unverstanden Vorausgesetzten, Selbstverständlichen. Und so endet folgerichtig eine als Explikationsgeschichte vorgestellte Geschichte am idealen Endpunkt einer vollumfänglich entkleideten, geheimnisslosen Welt, die keine Fragen mehr offen lässt. Die Natur mag es zwar lieben, sich zu verbergen, die Geschwindigkeit ihrer sich selbst verbergenden Einwicklung (Implikation, Einfaltung) wird aber auf Dauer mit der Geschwindigkeit ihrer Auswicklung, ihrer theoretischen Entfaltung nicht schritthalten. Fluchtpunkt Geheimnislosigkeit - man könnte eine solche Entwicklung wirklich irgendwie romantisch bedauern, sofern sie denn zutreffen würde.

Heute wird gegenüber solchen Träumereien deutlicher, dass das Phantasma finaler Naturtransparenz für Menschenwesen (zum Glück, wie auch immer) wohl ein solches bleiben wird. Natürlich, es mag möglicherweise irgendwann Maschinen geben, die unsere avanciertesten physikalischen Theorien autonom so weit weiterzuentwickeln imstande sind, dass sie alle Weltprozesse (einschließlich ihrer selbst natürlich) generell restlos (trotz scheinbar drohender Mengenparadoxien) zu beschreiben vermögen. Allein, wie sollte es Menschen möglich sein, eine solche Theorie noch zu begreifen? Sie stünde höchstwahrscheinlich einfach so - unverstanden und richtig - alleine vor sich herum; und wäre somit eigentlich eine recht wunderbare Angelegenheit, sofern sie ihre Geltung nicht länger vor dem unzuverlässigen Gericht der Menschenvernunft zu verantworten hätte. Sie wäre einfach da, für niemand bestimmten einzig und allein korrekt.

Selbst, wenn dies aber unmöglich sein sollte, so ist doch immerhin klar, dass zumindest unser alltäglicher Umgang mit der Welt notwendig und immer auf einem Verzicht auf relativ große Pensen an explizitem Wissen beruht. Ein grundsätzliches Vertrauen auf das sich uns aus bisherigen Erfahrungen nehelegende "und so weiter" (Schütz) ist unverzichtbar, sofern man nicht in den praktischen Abgrund der skeptischen Kontinuitätsbezweiflung fallen will. Heidegger spricht diesbezüglich sogar davon, dass wir die Gegenstände unseres alltäglichen Umgangs gerade dadurch in ihrem Sinn verstehen, dass wir es "dabei bewenden lassen", womit es mit diesen Gegenständen jeweils "sein Bewenden" hat: deren "Bewandtnis". Sinnhafter Umgang mit der Welt beruht also gerade auf einem Verzicht auf deren erklärendes Verstehen, beruht gerade darauf, es bis auf weiteres mal gut sein zu lassen. (Geht schon. Funktioniert ja. Isso.) Und selbst wenn die Einzelne im Einzelnen weiß, wie ein Computer funktioniert, muss sie dieses Wissen überhaupt nicht beanspruchen, um ihn zu gebrauchen. Man muss aber auch nicht wissen, wie eine Orange im Zusammenspiel mit unserer Verdauung das macht, dass sie uns wertvolle Nährstoffe zuführt, um eine Orange zu essen. (Funktioniert einfach. Geht schon.) Das Auseinandertreten von "Sachverstand" und "Sachbeherrschung" (Blumenberg), das manche Autoren bezüglich der Fortschritte der Technik kritisch in den Blick gehoben haben, zeichnet also ganz allgemein unseren Zugang zur Welt aus. Ob man nicht weiß, wie das Wachstum eines Baumes oder wie der Motor eines Autos funktioniert, macht dabei keinen grundsätzlichen, allenfalls einen graduellen Unterschied.


Einen signifkanten Unterschied macht allerdings die Richtung, in die der technische Fortschritt selbst voranschreitet: Die Geschichte des technischen Fortschritts lässt sich gegenüber einer möglichen Explikationsgeschichte gerade beschreiben als eine Geschichte fortschreitender Implikationen. Eine Geschichte schrittweiser Einfaltungen also, in denen zunächst Explizites, Auffälliges schrittweise invisibilisiert, impliziert wird. So zeichnete sich die alte Technik stets dadurch aus, dass sie auffiel, schwer fiel, irgendwo immer irgendwie im Weg stand. Riesige Kisten und Gehäuse, der erste Fernseher, der erste PC, das erste schnurlose Telefon. Die alte Technike lieferte neue Möglichkeit, aber sie brauchte für deren Realisierung stets jede Menge Platz, der nicht einfach unsichtbar gemacht werden konnte, und der deshalb (aus Gründen der visuellen und habtischen Hygiene) in und hinter Gehäusen verborgen werden musste. 

Das Gehäuse bezeichnet also immer die Verkleidung desjenigen Rests der Technik, der noch nicht restlos impliziert werden konnte. Die Verkleidung desjenigen Rests, der nicht selbst nochmal zu etwas zu gebrauchen ist, sofern ja gerade er es ist, der die technische Funktion ermöglicht. Und so markiert das Gehäuse eigentlich den verbleibenden Widerstand der Natur gegen ihre restlose Technisierung, es verkleidet denjenigen Umstand, den die nicht vollständig abgeschlossene Technisierung darstellt: Das Gehäuse ist eigentlich die Umstandskleidung der Technik.

Worauf die heutige Entwicklung der Technik also auf einer sehr allgemeinen Ebene abzielt, ist recht einfach zu sehen. Der Fluchtpunkt der Entwicklung der Technik ist das Verschwinden der Sichtbarkeit des Technischen der Technik selbst, deren totale Implikation. Was am Ende einer solchen Entwicklung übrigbliebe wäre die reine Funktionalität - ohne verbleibende sichtbaren Restbereich ihrer Realisierung, ohne etwas, das noch aus Verlegenheit eingekleidet und umhüllt werden müsste. Die endgültige Abschaffung des technischen Inneren also, die letztlich auf reine Funktion, reine Oberflächlichkeit zuläuft. Und so sind die Oberflächen mit Funktion der eigentliche Fluchtpunkt der Entwicklung der Technik. Und nur da, wo wirklich noch etwas physisch aufbewahrt werden muss, werden Hohlkörper bleiben: Flaschen, Gläser, Schalen, Hüllen, Kisten.

Während die Möbel durch die natürliche Raumforderung ihrer Funktionen im Wesentlichen bleiben werden, was sie sind, wird das Technische der Technik verschwinden, bis es gänzlich implizit geworden ist.

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