Samstag, 31. März 2012

Wieso das öffentliche Eingeständnis von Nicht-Wissen eine Chance zur Entkrampfung des politischen Diskurses darstellen könnte


"Eine Politik der öffentliche Rede über die Verzweiflung würde außerordentlich therapeutisch wirken." 
(Sloterdijk im Gespräch mit Carlos Oliveira, 1996)

Risiko und Sicherheitssuggestion als Konstituenten von Politik

(Unsicherheit absorbieren)
Souveränitäts- und Bescheidwissens-, auch Ehrlichkeitssuggestionen gehören scheinbar unverbrüchlich zum Alltag politischer Selbstdarstellung. Politiker wissen Bescheid, haben bereits heute Lösungen für Probleme, mit denen sie bis vorhin nicht einmal gerechnet hatten und können jederzeit abschätzen, was genau die Folgen dieser oder jener Entscheidung im Detail sein werden.
Diese Situation bringt die Politik in ein Darstellungsproblem. Sie hat keine ausreichende Weltkenntnis, sie kennt vor allem die Zukunft nicht. Sie muß also riskant entscheiden. Wenn es aber um den politisierten Konflikt von Entscheidern und Betroffenen geht, kann sie ihre eigene Entscheidung nicht gut als das darstellen, was sie ist: als riskant.
(Luhmann, Soziologie des Risikos)
Politik muss also suggerieren, was sie eigentlich zu leisten gar nicht im Stande ist. Das heißt, dass sie sich als Zurechnungsadresse von Verantwortung selbst da zur Verfügung stellt, wo Verschuldung nur noch schwer oder gar nicht mehr zurechenbar ist. Eine solche Zurechnungsadresse für Verantwortung entlastet ihrerseits die Gesellschaft von der Konfrontation mit eigener Unsicherheit und Kontingenz. Selbst wenn Schwerwiegendes geschieht, ist man als Beobachter von Politik dann nicht mit der Schwierigkeit konfrontiert, es als einen unvorhersehbaren Zufall der allgemeinen Unordnung des Lebens zuzurechnen, sondern hat in der Politik eine Adresse für Klage und Protest (insofern nimmt auch und gerade die "Politikverdrossenheit", wo sie nicht einfach Desinteresse ist, die Politik besonders ernst, da sie ihr Verantwortung für die "Gesamtsituation" und ihre diesbezüglichen Verfehlungen dann als Schuld zuschreibt). In diesem Sinn stellen Politiker -- indem sie sich dafür zur Verfügung stellen, Verantwortung für Prozesse zu übernehmen, die sie teilweise selbst kaum überschauen (geschweige denn deren Risiken bis ins Letzten vorausberechnen können) -- "Unsicherheitsabsorbatoren" dar.
Selbst Naturkatastrophen werden heute als gesellschaftsverursacht wahrgenommen. Irgendwo müsse ein Bruch des Vorausssichts- oder Vorsichtsprinzips gelegen haben, der zu einer Verschlechterung der ökologischen Verhältnisse geführt hat und die Gesellschaft für Erdrutsche, Erdbeben, Überschwemmungen, ja einzelne besonders heftige Gewitter verantwortlich macht.
(Clam, Kontingenz, Paradox, Nur-Vollzug)
Der oft beklagte "Vertrauensverlust" in die Politik scheint zum Teil eine Reaktion auf die Einsicht in diese Form politischer Selbstdarstellung zu sein, sofern die standardisierte und mittlerweile allenthalben als phrasenhaft wahrgenommene Suggestion von Sicherheit selbst inzwischen an Glaubwürdigkeit verloren hat.  

Vertrauen in Politik?

(Politik als Selbstbeschuldung)
Vertrauen setzt da ein, wo man nicht genau weiß, was wirklich geschehen wird und sich trotzdem darauf festlegt, so zu handeln, als wüsste man es doch. "Im Akt des Vertrauens wird die Komplexität der zukünftigen Welt reduziert", insofern "überzieht [Vertrauen] die Information, die es aus der Vergangenheit besitzt und riskiert eine Bestimmung der Zukunft" (Luhmann, Vertrauen), Vertrauen bleibt also immer riskant und enttäuschbar. 
Insofern stellt das politische Versprechen die größte Gefahr für die Stabilisierung von Vertrauen dar, da politisch Versprochenes (vor einer Wahl oder einer Krise beispielsweise) sich im Wandel der Geschehnisse (nach der Wahl/Krise) schon als nicht mehr durchsetzbar oder sogar als unklug erweisen kann, aber auch -- und noch schwerwiegender -- wenn da versprochen wird, wo der Versprecher gar keine Handhabe über Verwirklichung oder Nicht-Verwirklichung seines Versprechens besitzt (er/sie beispielsweise die Sicherheit von Rentenansprüchen, die Senkung von Arbeitslosigkeit oder die Sicherheit der auf Sparkonten angelegten Einlagen verspricht).
Das öffentliche Eingeständnis von Nicht-Wissen (wie man es jüngst etwa von der Piratenpartei erleben konnte) und Unsicherheit, das Eingeständnis, dass man nicht genau weiß, was die Folgen und die Risiken der Entscheidungen tatsächlich sein werden, könnte für die Wahrnehmung des politischen Diskurses also durchaus heilsam sein und es zumindest ein Stück von der Last der permanenten Souveränitätsdarstellung befreien. Und auch wenn Stuckrad-Barre schon meinte feststellen zu können, dass ihn dieses Eingeständnis inzwischen schon wieder langweile 
Wie weit kann man´s mit dieser Masche bringen: "Keine Ahnung von Afghanistan..." Nervt sie das schon, dass das so pseudofrisch kommt? Mich fängts jetzt schon an zu nerven..
könnte es also durchaus als ein gesundes Korrektiv gegenüber einer sich ständig um die Suggestion von Sicherheit der eigenen und Unzulänglichkeit der fremden Vorschläge bemühten Politik fungieren. Allerdings: "Die Kommunikation von Nichtwissen stellt von Verantwortung frei" (Luhmann, Beobachtungen der Moderne), was auf der anderen Seite natürlich auch bedeutet, selbst nicht mehr zu entscheiden. Politik besteht immer in der Übernahme von Verantwortung für Entscheidungen und in einer damit verbundenen Selbstbeschuldung, d.h. Auf-sich-Nahme der dem Entscheiden (angemessen oder unangemessen) zugerechneten Folgen. Das ändert allerdings nichts daran, dass eine langfristige Veränderung der politischen Selbstdarstellung (gerade im Hinblick auf das Eingeständnis von Unsicherheit und Risiko) einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung von Politik haben könnte.

Die Forderung nach Transparenz

Könnte dabei die Forderung nach Transparenz zur Wiedergewinnung des "verlorenen Vertrauens" (ist es aber wirklich das Vertrauen in die Politik, das wir verloren haben?) beitragen? (Vgl. hierzu entsprechenden Beitrag auf sozialtheoristen.de)
Man mag die Hoffnung hegen, durch aufrichtige, vollständige Information Vertrauen zu gewinnen. Aber Vertrauen wozu? — wenn nichts verschwiegen wird. Vermutlich ist denn auch der Wunsch, besser informiert zu werden, eher ein Anzeichen für zunehmenden Vertrauensverlust als ein Mittel, Vertrauen zu gewinnen.
(Luhmann, Soziologie des Risikos)
Vertrauen in Politik bedeutet ja gerade: Sich verlassen können/wollen auf die durch die Autorität (Expertise, etc.) anderer zur Verfügung gestellten Unsicherheitsabsorptionen. Wer hat schon die Zeit, jede Beratungssitzung wirklich im Live-Stream zu verfolgen? Wer die Zeit, alle Protokolle zu lesen, sowie vor allem auch die Aufmerksamkeit und Kenntnis, sie alle zu verstehen? In diesem Sinne bleibt die Politik auf Intransparenz angewiesen (was allerdings nicht bedeutet, dass Transparenz im Sinne der grundsätzlichen Ermöglichung, dies alles im Einzelnen in Erfahrung zu bringen, wenn man nur will (d.h. Transparenz als "Zugänglichmachung"), nicht zur Wahrnehmung der Politik als vertrauenswürdig beiträgt).
Kandidieren heißt ja doch, an den eigenen Kraftüberschuss glauben. Und glauben, dass man selber ein "Container" ist, also eine Hohlform, in der sehr viel gesellschaftliche Sorge deponiert werden kann. Und das ist eine Haltung, die für die demokratische Politik zwar konstitutiv ist, auf die Dauer aber nicht mehr tragen wird. Dieser "Müllabfuhrpolitiker", der sich sozusagen als Sorgencontainer der Öffentlichkeit anbietet und dann am Ende doch aber auch selber auf den Müll geschickt wird, das ist ein Typus, dem ich keine große Zukunft zuspreche. 
(Sloterdijk, Autobahnuniversität, Gespräche mit Carlos Oliveira, 1996)

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