Freitag, 29. Juli 2011

Walser contra Heidegger: Das Handgemenge der Sprache, eine Konfrontation




Ein Streit über zwei Runden auf zwei Baustellen über zwei Plateaus. Ontisches Thema: "Stadt - Land - Technik - Fluss", Ontologisches Thema: "Das Wesen der Sprache" [Beurteilt werden: Phänomenadäquanz, Sprachbeherrschung, Ironie]:

1.Runde:
M.H.: "Ge-stell heißt die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist. Zum Technischen gehört dagegen alles, was wir als Gestänge und Geschiebe und Gerüste kennen und Bestandstück dessen ist, was man Montage nennt. Diese fällt jedoch samt den genannten Bestandstücken in den Bezirk der technischen Arbeit, die stets nur der Herausforderung des Ge-stells entspricht, aber niemals dieses selbst ausmacht oder gar bewirkt."
(Die Frage nach der Technik)
R.W.: "Oft gehe ich aus, auf die Straße, und da meine ich, in einem ganz wild anmutenden Märchen zu leben. Welch ein Geschiebe und Gedränge, welch ein Rasseln und Prasseln. Welch ein Geschrei, Gestampf, Gesurr und Gesumme. Und alles so eng zusammengepfercht. [...] Und immer neue Züge von Menschen und Fuhrwerken. Die Wagen der elektrischen Trambahn sehen wie figurenvollgepfropfte Schachteln aus. Die Omnibusse humpeln wie große, ungeschlachte Käfer vorüber. Dann sind Wagen da, die wie fahrende Aussichtstürme aussehen. Menschen sitzen auf den hocherhobenen Sitzplätzen und fahren allem, was unten geht, springt und läuft über den Kopf weg. In die vorhandenen Mengen schieben sich neue, und es geht, kommt, erscheint und verläuft sich in einem fort."
(Jakob von Gunten)
Und in der Pause, ein Kunstintermezzo von Ralf Baecker:



2. Runde:
M.H.: "Die Lieblichkeit des Tales und das Drohen des Gebirges und des tobenden Meeres, die Erhabenheit der Gestirne, die Versunkenheit der Pflanze und die Befangenheit des Tieres, das berechnete Rasen der Maschinen und die Härte des geschichtlichen Handelns, der gebändigte Rausch des geschaffenen Werkes und die kalte Kühnheit des wissenden Fragens, die gefestigte Nüchternheit der Arbeit und die Verschwiegenheit des Herzens -- all das ist Sprache, gewinnt und verliert das Sein nur im Geschehnis der Sprache. Die Sprache ist das Walten der weltbildenden und bewahrenden Mitte des geschichtlichen Daseins des Volkes." 
(Die Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache)

R.W.: "H[.] ist der rechte Bauernjunge, wie er in Grimms Märchenbuch steht. Er kommt tief aus M[.], und er duftet nach blumigen üppigen Wiesen, nach Kuhstall und Bauernhof. Schlank, grob und knochig ist er, und er spricht eine wunderliche, gutmütig-bäuerische Sprache, die mir eigentlich gefällt, wenn ich mir Mühe gebe, die Nasenlöcher zuzuhalten. Nicht als ob H[.] etwa übel dünste und dufte. Und doch tut man irgend welche empfindlichen Nasen zu, meinetwegen geistige, kulturelle, seelische Nasen, und ganz unwillkürlich, womit man den guten H[.] auch gar nicht kränken will. Und er merkt so etwas ja gar nicht, dazu sieht, horcht und empfindet dieser Land-Mensch viel zu gesund und zu schlicht. Etwas wie die Erde selber und Erdrinnen- und Krümmungen tritt einem entgegen, wenn man sich in den Anblick dieses Burschen vertieft [...].
(a.a.O.)

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